Literarische Texte

Die beiden besinnlichen Texte erschienen um 1998 im "GRIPS Journal", der Zeitschrift eines damals vor allem in Baden-Württemberg aktiven Vereins, der ursprünglich von Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Bundeswettbewerb Mathematik gegründet worden war.

Inspiration für den ersten Text waren u.a. die Lektüre des Novellino, ein Choraufenthalt in Ste. Croix sowie die Rechtschreibreform. Letzteres wird in der vorliegenden Gestalt nicht erkennbar wird: Der Text war ursprünglich mit LaTeX in der damals noch ungewohnten neuen Rechtschreibung in einem Schwabacher-Font mit kunstvollen Initialen gesetzt. Dafür musste ich eigens eine Ligatur aus langem und kurzem s implementieren. Der zweite Text war als eine Art Fortsetzung konzipiert, in Fraktur gesetzt und durch Saki inspiriert. Beide zusammen gibt es in der Originalgestalt mit gripsheft-typischen schwarzen Rahmen als dreiseitige PDF-Datei (120 KB).

Das gesellschaftskritische Gedicht Bäh! stammt aus meiner monovokalischen Phase, die 1996 durch einen Aufruf der taz (Wahrheit-Seite) zur Einsendung ä-lastiger Texte ausgelöst wurde. Nur die ersten vier Zeilen erschienen in der taz. Das komplette Gedicht wurde ein einziges Mal (auf dem bunten Abend in Ste. Croix) mit großem Erfolg öffentlich verlesen.

1. Das Dörflein Ste. Croix in der Schweiz2. Das Manfredsevangelium3. Bäh!

1. Das Dörflein Ste. Croix in der Schweiz

Vor Zeiten, als das Dörflein Ste. Croix in der französischen Schweiz noch seinen alten haidnischen Namen trug, die Bewohner desselben aber fromme, gottesfürchtige Katholiken waren, fand ein Schelm nahe einem Kruzifix am Wegesrand eine tote Kröte. Kaum einen Steinwurf weiter des Wegs sah er vor seinen Augen eine altersschwache Ratte das Zeitliche segnen. Ei nun, sprach da der Schelm, mich soll doch der Teufel holen, wenn ich diese beiden Kadaver nicht zu einem Lausbubenstück zu gebrauchen weiß.

Er befand sich schon beinahe in der nahgelegenen Siedelung, und als er, dort angekommen, sich zur Genüge erfrischt hatte, ließ er sich sogleich vom Dorfschreiner zwei einfache Holzkreuze zurecht zimmern, von derselben Größe wie das Kruzifix, an dem er auf seinem Weg vorübergekommen. Auch ließ er sich von dem guten Manne einen Hammer und etliche eiserne Nägel geben. Mit diesen begab er sich zurück auf die Landstraße und fand zu seiner Genugtuung die beiden toten Tiere, wie er sie zurückgelassen. Flugs hatte er ein jedes fein säuberlich an sein Kreuz genagelt und die beiden neuen Kreuze dem alten zur Gesellschaft aufgestellt, so dass sich der schönste Hügel Golgatha ergab, den man sich nur vorstellen kann. Zufrieden begab er sich in den Dorfgasthof und harrte dort der weitern Dinge.

Es begab sich aber, dass eben zu jener Zeit der Herrgott und der heilige Merlin in der Gegend weilten und just an jenem Tage an besagtem Richtberge vorüberkamen. Da brach der Herrgott in Thränen aus, und der heilige Merlin, der das sah, hub an, auf den Gotteslästerer, der dies unchristlich Werk, so sagte er, verbrochen, mit manch flätigem Wort zu schimpfen.

Als das der Herrgott hörte, stahl sich ein Anflug von Lächeln in sein von Thränen benetztes Antlitz, und er sprach also: Du Narr willst ein großer Heiliger sein, und kennst doch mein Buch schlechter als der ungebildetste Bergbauernjunge. So wisse denn, dass mein Leben an eben einer solchen Richtstätte sein Ziel gefunden hat, wie du sie hier siehst. Diese Kröte hier steht für den Räuber, der sich im Angesicht des Todes zu mir wandte und seine Sünden bereute. Jene Ratte aber steht für seinen Kumpan, der verstockten Herzens starb. Ich habe beiden verziehen, doch gelten meine Thränen jenen Tausenden von Seelen, für die jede Rettung zu spät kommt. Ich bitt dich also, lass mich ein wenig auf jener Bank meinen Gedanken nachgehen und höre du dich im Dorfe nach dem Urheber dieses frommen Denkmals um. Ich bin sehr gespannt, wer jener Künstler sein mag.

Da begab sich der heilige Merlin in das Dorf und dort zum Pfarrheim, und beschrieb dem Pfarrer, was er und sein Weggefährte gesehen. Der Pfarrer aber ereiferte sich in großem Zorn auf das, wie er sagte, gotteslästerliche Machwerk. Sogleich wolle er es selbst in Augenschein nehmen, um derlei Umtrieben in seiner Gemeinde ein augenblicklich Ende zu bereiten. Der Einspruch des Heiligen verhallte ungehört, und so nahm das Unglück seinen Lauf.

Binnen dreier Tage waren sämtliche Formalitäten erledigt und die beiden Scheiterhaufen an der Richtstätte auf das Künstlichste bereitet. In jenem Moment aber, da der Schmied, der das Amt des Scharfrichters versah, die beiden Kreuze mit den Tierkadavern ins Feuer warf, begann die Christusfigur am Kruzifix in Strömen zu weinen. Als dann das Feuer an den armen Schelm gelegt wurde, den der Schreiner verraten hatte, gewann der Thränen Strom vor den Augen der Dorfbewohner ein solch ungeheures Ausmaß, dass er ohne das beherzte Einschreiten des Schmieds gewiss das Feuer ausgelöscht haben würde. Der heilige Merlin aber ging nach diesem Erlebnis traurig alleine seines Wegs und fragte sich, ob er den Herrgott jemals lebend wieder sehen würde.

Seit jenem denkwürdigen Tage wird das unscheinbare Kruzifix am Wegrand von den Dorfbewohnern in Ehren gehalten. Das Dorf aber heißt seinetwegen Ste. Croix, das ist französisch für Heilig Kreuz.

2. Das Manfredsevangelium

I. 1 Dies ist das Buch von der Geburt Jesu Christi, der da ist ein Sohn Jakobs, des Sohnessohns Abrahams. 2 Jakob zeugete Joseph, den Mann der Maria, von welcher ist geboren Jesus, der da heißt Christus.
3 Die Zeugung Christi war aber also gethan. Als Maria, seine Mutter, dem Joseph um ein Jahr vertrauet war, erfand sichs, dass er sie noch immer nicht hatte heimgeholt. 4 Da trat Clovias, der Sohn Jakobs, zu Maria und sprach: Siehe, mein Bruder Joseph ist dir vertrauet seit einem Jahr, doch er achtet nur seines Hobels und erkennet dich nicht. Ist nicht dies eine Schande vor dem Herrn? 5 Stehet nicht geschrieben: Und siehe, sie erkannten sich, und es war ihres Müßiggangs ein Ende? 6 Meines Bruders und deine Tage aber sind einer wie der andere, und wird kein Ende denn durch die That. 7 Solches Alles redete und that Clovias zu Maria, auf dass erfüllet würde, das gesagt ist durch den Propheten, der da spricht: Und er wird sein seines Vaters Bruders Sohn.
8 So erfand sichs, dass Maria schwanger war. Joseph aber, ihr Mann, erzürnte sich und gedachte sie zu verlassen. 9 Indem er also gedachte, siehe, da erschien ihm die Stimme des Clovias als eines Engels des Herrn im Traum und sprach: Joseph, du Sohn David, fürchte dich nicht, Maria, dein Gemahl, zu dir zu nehmen; denn das in ihr geboren ist, das ist von dem heiligen Geist. Und sie wird einen Sohn gebären, dess Namen sollst du Jesus heißen; denn er wird sein Volk selig machen von ihrem Elend und ihrer Muße. 10 Das ist aber Alles geschehen, auf dass erfüllet würde, das der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht: Siehe, eine Jungfrau wird schwanger seyn, und einen Sohn gebären, und sie werden seinen Namen Emmanu-El heißen. Und die Sonne wird ihr Antlitz verfinstern, und das Wasser wird zu Berge fließen am Bache Dreis. 11 Da nun Joseph vom Schlaf erwachte, that er, wie seines Bruders Stimme ihm befohlen hatte und nahm sein Gemahl zu sich; und erkannte sie nicht, bis sie ihren ersten Sohn gebar, und hieß seinen Namen Jesus.

II. 1 Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. 2 Und diese Schatzung war die allererste, und geschah zur Zeit, als Kyrenius Landpfleger in Syrien war. 3 Da redete Clovias zu Joseph in Galiläa, in der Stadt Nazareth, und sprach: Siehe, Jedermann gehet, dass er sich schätzen lasse, ein Jeglicher in seine Stadt. Also thu auch du. 4 Da machte sich auf auch Joseph in das jüdische Land zur Stadt David, die da heißt Bethlehem, darum, dass er von dem Hause und Geschlecht David war, auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weib, die war schwanger, und Clovias, seinem Bruder. 5 Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn, und wickelte ihn in Windeln, und legte ihn in eine Krippe, denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.
6 Und es waren Hirten in derselbigen Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihrer Heerde. 7 Und siehe, Clovias trat zu ihnen, und sein Schwert leuchtete vor ihnen, und sie fürchteten sich sehr. 8 Und Clovias sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird, 9 denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr, in der Stadt David. 10 Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. 11 Als die Hirten das hörten, erzürnten sie sich sehr und sprachen unter einander: Der solches spricht, ist ein falscher Prophet. Lasset ihn uns erschlagen! 12 Doch alsbald war da bei Clovias eine Menge käuflicher Heerscharen, die lobten ihn und sprachen: 13 Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen. Ihr aber gehet hin, wie der Prophet spricht! 14 Und da die Söldner nicht von ihnen fuhren, sprachen die Hirten: Lasst uns nun gehen gen Bethlehem, und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns die Herren kund gethan. 15 Und sie gingen eilend und fanden beide, Maria und Joseph, dazu das Kind in der Krippe liegen. 16 Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. 17 Und Alle, vor die es kam, wunderten sich der Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten.
18 Und Clovias schwärzete sein Antlitz nach der Sitte der Weisen im Morgenlande, und zwei seiner Söldner taten desgleichen. 19 Und sie gingen hin in die Häuser, und segneten sie, und baten um milde Gaben. 20 Und sie gingen auch in das Haus mit der Krippe, und fanden das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und mit Joseph, und fielen nieder und beteten es an, und thaten ihre Schätze auf, und schenkten ihm Salz, Schnittlauch und Zwiebeln. 21 Da sie aber hinweg gezogen waren, siehe, da erschien der Engel des Herrn in der Gestalt des Clovias dem Joseph im Traum und sprach: Stehe auf und nimm das Kindlein zu dir, und fleuch in Egyptenland, und bleib allda, bis ich dir sage; denn es ist vorhanden, dass Herodes das Kindlein suche, dasselbe umzubringen. 22 Und er stand auf, und nahm das Kindlein zu sich bei der Nacht, und entwich in Egyptenland, und blieb allda bis nach dem Tod Herodis; auf dass erfüllet würde, das der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht: Aus Egypten habe ich meinen Sohn gerufen. 23 Da Clovias nun sahe, dass er mit Maria alleine in Bethlehem war, da freute er sich sehr und lobte Gott von Herzen.

3. Bäh!

Hätten nächtens dämliche Lämmer
Des Gärtners Bärlapp gänzlich geäst –
Jäh hätte nämlicher, rächend,
Die gefräßigen Gäste buchstäblich gepfählt!

Zur Diät zu spät.
Belämmert, geschändet –
Wegen läppischen Pflänzleins Entblättrung hätte
Der gehässige Schlächter die Ärmsten gequält!